Als Paul Drux am Samstag aus dem Kreis der deutschen Nationalmannschaft verabschiedet wurde, rauschte lauter Applaus durch die Arena in Hannover. Drux war bei den Handballfans immer ein beliebter Spieler, weil er sich in jedem seiner 127 Länderspiele in jeder Sekunde voll reingehängt hat. Im Stil einer Dampframme hatte sich Drux in die gegnerischen Abwehrreihen gezwängt, ohne Rücksicht auf Verluste. Drux musste seine Karriere im Alter von 29 Jahren auch beenden, weil er seinen Körper nie geschont hat.
Hinter Drux standen versammelt die aktuellen Nationalspieler, und der Blick ging unweigerlich zu Julian Köster, der sichtlich geschafft den Abschiedsworten lauschte. Köster hatte beim 31:26 (16:14) in der EM-Qualifikation gegen Österreich ein Spiel absolviert, das Drux ganz sicher gefallen hat: Köster, 25, hatte einen beherzten 60-Minuten-Kampf geboten, ebenfalls alles reingeworfen, was in seinem Körper steckte. Er leitete das Angriffsspiel an, rackerte in der Abwehr; immer nah am Limit, manchmal einen Tick darüber.
Eine typische Szene des Gummersbachers: Wie er aus dem Rückraum Anlauf nahm und sich durchtankte, auf dem Weg drei Österreicher an seinem Arm hingen, Köster aber trotzdem nicht aufhörte – bis der Ball endlich im Tor lag.

Meinung
Handball-WM
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Der Handball sollte nicht größer, sondern kleiner denken
All die Strapazen waren in seinem Gesicht abzulesen. Zwischenzeitlich wirkte Köster so erschöpft, dass man sich gewünscht hätte, Bundestrainer Alfred Gislason hätte ihm eine längere Pause auf der Bank gegönnt. Kein Wunder am Ende einer kraftraubenden Saison mit drei großen Turnieren in 15 Monaten, von den ganzen Spielen im Verein mal abgesehen. Doch der Isländer konnte nicht: Nach vielen Ausfällen, unter anderem von Mittelmann Juri Knorr (Infekt) und seinem erfolgreichsten Schützen Renars Uscins (muskuläre Probleme), hatte Gislason nicht mehr viele Spieler zur Verfügung, die in kritischen Situationen vorangehen, gerade aus dem Rückraum. Kurz nahm er Köster in der zweiten Halbzeit vom Feld, doch als die Österreicher einen Lauf mit 4:1 Toren starteten, war Köster schnell wieder drauf.
Bei der WM übernahm Köster sogar die Auszeiten von Trainer Gislason
Köster ist gerade der Spieler, der die deutschen Handballer durch schwierige Wochen und Monate rettet. Der unter großem Einsatz und mit letzter Kraft kaschiert, dass die Mannschaft auf letzter Rille daherkommt und ihr das Spiel auch sonst nicht gerade lockerleicht von der Hand geht. Schon bei der WM im Januar, die im Viertelfinale mit einer knappen Niederlage gegen Portugal endete, hatte es Szenen gegeben, in denen Köster die Mannschaft mitriss wie eine altgediente Führungskraft. Als er in engen Spielsituationen die Ansagen in den Auszeiten übernahm, den Kollegen erklärte, wie der nächste Spielzug zu laufen habe – trotz seiner immer noch erst 25 Jahre. Und Gislason nur anerkennend nickte.
„Ein superintelligenter Spieler“ sei Köster, sagte Gislason in Hannover – Weltklasse in der Abwehr, herausragend im Angriff. Noch aus der zweiten Liga hatte Gislason den Gummersbacher in die Nationalmannschaft geholt. Früher als viele andere bekam Köster Verantwortung übertragen, mittlerweile steht er schon bei fast 70 Länderspielen. Manchmal wundert sich auch Gislason noch, wie weit Köster für sein Alter ist. „Gott sei Dank nimmt er diese Rolle so an“, sagte der Bundestrainer.
Kösters Problem ist nur, dass er gerade bei großen Turnieren seine Kraft dosieren muss. Über 60 Minuten in Angriff und Abwehr wie gegen Österreich, das mag mal gehen. Aber nicht über eine Strecke von sieben oder acht Spielen in 14 Tagen. Wenn sich Gislason entscheiden muss, ob er den Abwehrspieler oder den Angriffsspieler Köster wählt, dann nimmt er meist den Abwehrspieler, auch wenn er sich damit einer seiner am schwersten zu verteidigenden Optionen im Angriffsspiel beraubt.

Gegen die Österreicher, gegen die es im ersten Spiel am Donnerstag in Wien nur zu einem 26:26-Unentschieden gereicht hatte, warf Köster im Rückspiel nicht nur sechs Tore. Er ging auch mit mitreißenden Gesten voran – was in einer Mannschaft, in der es nicht gerade von extrovertierten Typen wimmelt, eine wichtige Währung ist. Die Halle goutierte Kösters emotionale Art, das merkten auch die Kollegen. „Julian ist ein echter Führungsspieler“, sagte Torwart David Späth, der mit seinen Paraden in der zweiten Halbzeit ebenfalls großen Anteil am Sieg hatte: „Wir sind froh, dass wir ihn haben.“ Das ging auch seinem Gummersbacher Teamkollegen Miro Schluroff so, der bei seinem zweiten Länderspiel im rechten Rückraum vier Treffer erzielte und von gemeinsamen Automatismen mit Köster profitierte. „Es hilft mir ungemein, wenn ich neben Julian spielen kann“, sagte Schluroff, 24.
Dank Kösters tatkräftiger Mithilfe haben die deutschen Handballer ihr nächstes Zwischenziel nun erreicht. Mit 7:1 Punkten führen sie die Qualifikationsgruppe an; schon ein Punkt im Mai gegen die Schweiz oder die Türkei reicht zur festen Qualifikation als Gruppenerster zur EM 2026 in Dänemark, Schweden und Norwegen. Bis dahin versuchen die Nationalspieler zumindest ansatzweise, sich von den aktuellen Strapazen zu erholen. Kösters Plan für den freien Sonntag, bevor es für ihn schon im Verein beim VfL Gummersbach weitergeht: „Ausschlafen.“