Günter Netzer legte den Kopf in den Nacken. Er verschränkte die Hände vor seinem Bauch, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Es war ein schönes Bild: Günter Netzer schaute gewissermaßen zu sich selbst auf, und er schien mit sich zufrieden zu sein.
Der Schein täuschte nicht.
Netzer war nicht nur zufrieden, er war sogar zutiefst gerührt. „Ich bin erschlagen“, sagte er – und kämpfte gegen die Tränen. Zum Glück sei es ab und zu mal dunkel geworden, „so hat man nicht gesehen, was ich empfunden habe“.
Was ihn im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund erwarten würde, das hatte Netzer selbst nicht gewusst. Zu seinen Ehren ist dort bis Oktober die Sonderausstellung „Netzer. Die Siebzigerjahre“ zu sehen. „Es ist das erste Mal, dass wir eine Person mit einer Ausstellung bespielen“, sagte Museumsdirektor Manuel Neukirchner bei der Preview am Montagabend.
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© imago/Sven Simon/IMAGO/Malte Ossowski/SVEN SIMON
„Netzer. Die Siebzigerjahre“ ist keine konventionelle Ausstellung mit verwaschenen Trikots in Schaukästen, ausgelatschten Fußballschuhen und anderen Exponaten aus Netzers Karriere. Es ist eher eine Video- und Fotoinstallation, eine Mischung aus Performance und Film. Irgendwie passt das natürlich zu einem Mann, der als Fußballer auch alles war, nur nicht konventionell.
25 Minuten dauert die Würdigung des früheren Nationalspielers, Welt- und Europameisters, die fortan im Untergeschoss des Museums auf mehreren Videowänden in Dauerschleife zu sehen sein wird. „Ich bin kein Mann, der diese Belobigung gut ertragen kann“, sagte Netzer zu Beginn des Abends, zu dem sich eine Reihe früherer Weggefährten von Borussia Mönchengladbach, Real Madrid, der deutschen Nationalmannschaft und des Hamburger SV eingefunden hatte. „Aber hier überwiegt die Freude.“
Das Buch zur Ausstellung
Manuel Neukirchner: Günter Netzer. Die Siebzigerjahre. Verlag Die Werkstatt. 272 Seiten, 39,90 Euro.
Günter Netzer, 80 Jahre alt inzwischen, war nicht irgendein Fußballer. „Er war der Spieler, bei dem ich dastand und innerlich applaudiert habe“, erzählte Paul Breitner, der mit Netzer zwei Jahre lang gemeinsam für Real Madrid gespielt hat. In der eigenen Hälfte habe er nichts zu suchen, habe er einmal zu Netzer gesagt. „Du bist der Künstler.“
Netzers Wirkung hat immer weit über den Fußballplatz hinausgewiesen. Er umgab sich mit Künstlern und lauschte andächtig ihren Gesprächen. Er betrieb im provinziellen Mönchengladbach, seiner Heimatstadt, eine Diskothek, kleidete sich in existenzialistisches Schwarz, fuhr extravagante Autos und wurde so selbst zu einem Popstar. Zum vermutlich ersten des deutschen Fußballs.
Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, war zu Netzers aktiver Zeit ein Teenager und lebte irgendwo in der Provinz. „Obwohl wir ihn nicht kannten, haben wir dieses Aufmüpfige, dieses Coole in ihn hineinprojiziert“, erzählte er auf der Bühne in Dortmund.
Mit seiner wehenden Mähne wurde Netzer zu einer Ikone der Siebziger. Es gebe keinen Fußballer, mit dem man die Zeit so gut erklären könne, sagte Museumsdirektor Neukirchner.
Wobei die Heldenverehrung Netzers bisweilen bizarre Züge annahm. In der Ausstellung ist ein – nicht näher gekennzeichnetes – Zitat zu lesen, wonach die Friedenspolitik Willy Brandts die kühnen Züge des Spiels von Günter Netzer getragen habe.
Schon die umgekehrte Deutung, dass sein Spiel durch den linken Zeitgeist geprägt wurde, fand Netzer übertrieben. Ja, es hat ihm geschmeichelt, welch schöne Worte die Feuilletonisten für die Beschreibung seines Spiel gefunden haben. Die Überhöhung seiner Person aber ist ihm immer ein wenig suspekt gewesen.
Netzer hat sich vor allem als Fußballer gesehen. „Ich konnte mir diese Dummheiten nur erlauben, weil ich den Ball getroffen habe“, sagt er. Das andere, „das ging alles viel zu weit. Da hat man zu viel hineininterpretiert.“
Seine langen Haare waren kein politisches Statement. Netzer fand einfach, dass er mit langen Haaren besser aussah als mit einer braven Kurzhaarfrisur. Und ein Revoluzzer, ein Linker oder 68er war er auch nicht. Günter Netzer sagt: „Vielleicht findet da auch eine Verklärung der Vergangenheit statt.“