Am Ende entschied der FC Bayern das Elfmeterschießen für Frankreich. Der Münchner Außenverteidiger Josip Stanišić trat als siebter Kroate an den Punkt, seinen wuchtigen, aber halbhoch angesetzten Schuss tauchte Frankreichs Torwart Mike Maignan aus der Ecke. Und dann kam Dayot Upamecano, der die Kugel schnörkellos links unter die Latte drosch – 5:4, die Franzosen fahren damit zum Final-Four-Turnier der Nations League im Juni nach Deutschland und treffen dort im Halbfinale auf Spanien.
Das war nach dem Hinspiel am vergangenen Donnerstag in Split keineswegs absehbar gewesen: Nach einer desolaten ersten Halbzeit und einer zwar stürmischen, aber unkreativen zweiten hatten die Franzosen mit 0:2 den Kürzeren gezogen und damit eine mächtige Hypothek für den Sonntag mit ins Stade de France genommen. Vor der Partie waren erhebliche Zweifel daran aufgekommen, dass Les Bleus die Wende noch schaffen würden, zu viel sprach dagegen: etwa der negative Lauf von Kapitän Kylian Mbappé, der die Herbsttermine mit der Nationalmannschaft aus persönlichen Gründen abgesagt hatte und in Split bereits im sechsten Länderspiel hintereinander ohne Tor geblieben war. Oder die Situation um Nationaltrainer Didier Deschamps, der Anfang des Jahres angekündigt hatte, nach der Weltmeisterschaft 2026 seinen Posten abzugeben.
Bei der Hinspielniederlage konnte man durchaus den Eindruck bekommen, Deschamps sei eine klassische Lame Duck, also einer, der zwar formell noch entscheidet, aber mit seinen Ansagen nicht mehr durchdringt, weil alle wissen, dass er nicht mehr lange das Sagen hat. Nach dem Spiel vom Sonntag kann man den Gedanken getrost verwerfen. Voller Esprit gingen die Franzosen zu Werke, sie wollten dieses Duell drehen, das vermittelten sie vom Start weg. Und selbst wenn sie nach drei Halbzeiten gegen die Kroaten immer noch ohne Treffer waren, hielten sie Druck und Tempo hoch und kamen nach der Pause zu jenen beiden Toren, die das Hinspielergebnis egalisierten.
Entsprechend erleichtert war Deschamps nach der torlosen Verlängerung und dem aufwühlenden Elfmeterschießen, in dem sein Team meist vorne lag, kurzzeitig durch Fehlversuche von Jules Koundé und Théo Hernández außer Tritt geriet und am Ende doch gewann: „Wir haben den Spieß umgedreht und heute Abend ein Spiel auf sehr, sehr hohem Niveau gespielt gegen eine sehr gute kroatische Mannschaft“, sagte der Coach. Wobei man die Leistung der Gäste durchaus kritischer sehen kann: Sie hatten eigentlich keine Chance. Oder, wie es Nationaltrainer Zlatko Dalić ausdrückte: „Wir wollten nicht verteidigen – sie haben uns dazu gezwungen.“
Die Franzosen waren derart dominant, dass sogar der ewig junge Luka Modrić, 39, vorübergehend so alt wirkte, wie er wirklich ist. Kroatiens Kapitän ist mittlerweile der älteste Real-Madrid-Spieler der Historie, im Oktober hat er die ungarische Legende Ferenc Puskás abgelöst. In St. Denis unterliefen ihm Fehlpässe im Spielaufbau und leichte Ballverluste in bisher nicht gekanntem Maße.
Der Abgesang auf diese zweite goldene kroatische Generation wurde schon öfter angestimmt
Auch die anderen Veteranen wie Mateo Kovačić, der bei Manchester City nicht mehr regelmäßig zum Einsatz kommt, oder Ivan Perišić, noch im Hinspiel am Donnerstag mit Tor und Assist bester Mann auf dem Platz, standen dem Angriffswirbel der Franzosen bisweilen mittellos gegenüber. Und so steht die Zukunft des WM-Zweiten von 2018 und WM-Dritten von 2022 wieder mal in den Sternen. Man hat den Abgesang auf diese zweite goldene Fußballgeneration des 3,8-Millionen-Völkchens nach all den Prosinečkis, Šukers, Bobans und Soldos Ende der Neunzigerjahre schon öfter angestimmt, zuletzt nach dem EM-Vorrundenaus im vergangenen Sommer. Verbandspräsident Marijan Kustić kämpft aber darum, den Fußball in seinem Land hochzuhalten. Der 50 Jahre alte ehemalige Parlamentsabgeordnete hat seit seiner Wahl 2021 bedeutende Verbesserungen an der Infrastruktur erreicht und etwa den Bau eines neuen nationalen Trainingszentrums nahe Zagreb auf den Weg gebracht.

Ob aber Modrić und seinen Mitstreitern 2026 noch einmal ein großes Turnier gelingt? Die Temponachteile am Sonntag im Stade de France wirkten eklatant. Vor allem Mbappé, aber auch Ousmane Dembélé und der entfesselt aufspielende Bayern-Flügelstürmer Michael Olise rannten den Vatreni, den Feurigen, wie Kroatiens Nationalspieler genannt werden, ein ums andere Mal davon. Und während Mbappé von Deschamps trotz seines nunmehr siebten Länderspiels in Serie ohne Tor ein Sonderlob einheimste („Kylian ist seit Beginn der Woche ein großartiger Anführer, mit sehr präzisen Aussagen auf und neben dem Platz, viel Enthusiasmus und Entschlossenheit“), war in Wahrheit vor allem Olise der entscheidende Faktor. Er verwertete nicht nur einen direkten Freistoß von der Strafraumgrenze zu seinem ersten Länderspieltor im sechsten Spiel (52.), sondern bereitete auch das 2:0 durch Dembélé mit einem klugen Pass von der Torauslinie in den Rückraum vor (80.).
Wofür es ebenfalls Zuspruch vom Trainer gab: Olise habe in seinem Verein große Fortschritte gemacht, sagte Deschamps. „Ich freue mich für ihn. Das deutet auf weitere gute Auftritte hin, weil er selbstbewusst sein wird.“
Den Zuschauern im Stade de France hat es gefallen, und sie hatten auch ihren Anteil daran, indem sie ihre Équipe unermüdlich nach vorne peitschten. Dabei hatte es zuletzt so ausgesehen, als würde Rugby in Frankreich dem Fußball im Hinblick auf die Popularität den Rang ablaufen. Auf eine entsprechende Frage hatte Deschamps vor ein paar Tagen gelassen reagiert: „Welche Nationalmannschaft spielt schon regelmäßig vor 80 000 Fans?“ Mit Auftritten wie jenem am Sonntag wird sich das so schnell auch nicht ändern.