Es waren ein paar dürre Zeilen, mit denen der HC Erlangen, nun ja, eine Bombe platzen ließ: Der Handball-Bundesligist trennt sich mit sofortiger Wirkung von Trainer Martin Schwalb und legt die Geschicke der abstiegsgefährdeten Mannschaft zurück in die Hände von Johannes Sellin. Der war erst im vergangenen Oktober von Schwalb beerbt worden und ins zweite Glied zurückgetreten, nun wird der Assistent wieder zum Chef und soll zusammen mit Matthias Obinger den drohenden Abstieg aus der Beletage verhindern.
Es ist die dritte Trainerentlassung innerhalb eines Jahres. Sellin war im vergangenen April für den geschassten Hartmut Mayerhoffer vom Co-Trainer aufgestiegen, ehe ihm wegen einer anhaltenden Niederlagenserie vergangenen November das Mandat wieder entzogen wurde. Schwalb kam in dieser Situation wie ein Heilsbringer: Der renommierte Handballlehrer, der Meisterschaft, Pokal und Champions League gewonnen hat, heuerte beim Tabellenletzten im beschaulichen Mittelfranken an. Doch nun ist die Zeit des 61-Jährigen schon wieder vorbei, die Außenwirkung dieser Personalie für den Klub miserabel – man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Trainer-Halbwertszeit in Erlangen bei etwa sechs Monaten liegt.

Interview mit Handballcoach Schwalb
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„Du brauchst Spieler, die unter Druck Leistung bringen“
Abstiegskampf statt Champions League: Martin Schwalb ist einer der erfolgreichsten deutschen Handballtrainer. Er erzählt, warum er den Tabellenletzten Erlangen übernommen hat, wie sich der Handball zuletzt verändert hat und warum Deutschland zu den Topnationen zählt.
Dabei war Schwalb in Klub wie Umfeld sehr beliebt. Der gebürtige Stuttgarter, der vorher im Präsidium des HSV Hamburg wirkte und zurück an die Seitenlinie strebte, hat große Qualitäten als Menschenfänger. Allerdings traute ihm der Klub offensichtlich den Abstiegskampf nicht zu. Dem Vernehmen nach sehen die Verantwortlichen Schwalbs Qualitäten eher im Bereich der Führung einer gestandenen Topmannschaft. Und das sind die Erlanger trotz aller Ambitionen nicht. Als Schwalb beim damaligen Schlusslicht anheuerte, übernahm er eine verunsicherte Mannschaft, die regelmäßig an Grenzen stieß.
In der WM-Pause nun wurde der Kader um den isländischen Nationalspieler Viggo Kristjansson und den serbischen Auswahlakteur Milos Kos verstärkt. Neben achtbaren Ergebnissen ist aber nichts herausgekommen – zuletzt wurde eine 24:28-Niederlage bei müden Kielern als Teilerfolg gefeiert. Schwalb merkte nach der Partie an, dass „Handball Ergebnissport“ sei, das bekam er nun zu spüren. Unter seiner Regie gewannen die Erlanger lediglich fünf Punkte in 15 Spielen, zwei davon gegen das abgeschlagene Schlusslicht Potsdam in eigener Halle. Allerdings musste Schwalb ohne den vermeintlichen Königstransfer Kristjansson auskommen. Der Isländer kam verletzt von der WM zurück.
Der renommierte Trainer wird durch seinen Assistenten ersetzt, der vorher als nicht erstligatauglich erachtet wurde
Erlangen steht als Vorletzter auf einem Abstiegsrang, drei Punkte hinter Bietigheim, bei den zuletzt gezeigten Leistungen fehlte den Verantwortlichen die Fantasie, dass sich dies unter Schwalb ändern werde. Bis auf Weiteres wird Sellin von Matthias Obinger unterstützt, der bisher für „Kaderplanung und Entwicklung im sportlichen Bereich“ verantwortlich zeichnete und erfolgreicher Zweitligatrainer war. Das Duo ist folglich mit Spielern und Abläufen bestens vertraut, dem Vernehmen nach könnte aber nach den anstehenden Spielen gegen Hannover-Burgdorf und Lemgo die zweieinhalbwöchige Länderspielpause genutzt werden, um einen Nachfolger zu finden – der Markt freilich ist ausgesucht.
Die Verantwortlichen gehen ein enormes Risiko ein, einen renommierten Trainer durch seinen Assistenten zu ersetzen, der vorher als nicht erstligatauglich erachtet worden war. Gleichwohl wurde nach SZ-Informationen die Entlassung einstimmig im elfköpfigen Aufsichtsrat beschlossen. Offenbar wähnt sich die Vereinsführung bereits mit dem Rücken zur Wand – und schreckt auch vor unpopulären Entscheidung nicht zurück, um den Maximalschaden zu vermeiden. Zudem seien nicht alle Akteure mit Schwalbs Teamführung zufrieden gewesen, ist zu hören. Mittlerweile tummeln sich eine ganze Reihe von Nationalspielern im Kader, die ihre Zukunft sicher nicht in Vergleichen mit Hamm und Konstanz in Liga zwei sehen.
Der Respekt für den allseits beliebten Schwalb ist trotz allem groß, nicht nur Geschäftsführer René Selke bedauert „die Entscheidung zutiefst“. Befindlichkeiten haben aber im Profisport wenig Platz, das weiß natürlich auch Martin Schwalb: „Mir war klar, dass wir ein paar Pünktchen mehr gebraucht hätten, aber ich bin schon sehr überrascht.“ Wut empfinde er nicht, so Schwalb, „das ist nicht meine Gefühlswelt. Ich bin einfach nur sehr traurig, dass das hier endet“. Er sei „mit Engagement und Leidenschaft“ Erlanger Trainer gewesen und muss nun „eine Gemeinschaft verlassen, die mir sehr am Herzen liegt“. Wie es für ihn weitergeht? „Ich muss das jetzt erst mal verarbeiten, aber ich wünsche den Jungs den Klassenerhalt. Das wäre sensationell.“