Ein nebelgrauer Sonntagmorgen im Kurort. Acht Grad, leichter Nieselregen, schmuddelige Altschneereste: klassisches Wellness-Wetter. Oder doch mal eine Schroth-Kur? Schließlich sind wir in Oberstaufen, wo sie dem Naturheiler eine Büste in den Kurpark gestellt haben. Und von genau diesem Kurpark her tönt nun Lärm in die verschlafene Stille des Örtchens. Mit jedem Schritt nehmen die Dezibel zu, ballern die Bässe zu AC/DC, „Hölle, Hölle, Hölle“ und „Wackelkontakt“ – was ist denn da los? Après-Ski morgens um neun? Aber nein, bloß die deutsche Meisterschaft im Snow-Volleyball, und damit willkommen im Paralleluniversum!
Snow-Volleyball: Das Spiel drei gegen drei erblickte 2008 in Österreich das Licht der Sportwelt, als ein Restaurantbesitzer vor seinem Laden in Wagrain im Winter ein Volleyballfeld aufbaut, warum auch immer. Im Jahr darauf das erste Turnier, 2011 wird die Winter-Spielart des Beachvolleyballs vom österreichischen Volleyballverband als Sportart anerkannt. Fünf Jahre später entsteht die europäische Snow Volleyball Tour, 2017 will der Weltverband den Spaß zur olympischen Disziplin hochjazzen, 2018 wird die erste EM gespielt, bei Olympia 2022 ist Snow-Volleyball Demo-Wettbewerb, doch 2026 bei den Spielen in Cortina werden keine Bälle fliegen: zu klein das Orchideen-Fach, zu schwach die Lobby.
Was es aber gibt: deutsche Meisterschaften, seit 2018, damals am „Sahnehang“ in Winterberg, im Jahr darauf in Willingen und seitdem in Oberstaufen, auch weil die Tourismusdirektorin früher mal in St. Peter-Ording ein Beach-Turnier an Land gezogen hatte. Mitten im Kurpark, wo sonst Eislauf betrieben wird und auf einem DIN-A4-Blatt „Helmpflicht für alle Schlittschuhläufer!“ und „Betreten der Eisfläche auf eigene Gefahr!“ steht, ist ein Volleyballfeld entstanden, auf dessen Eis-Schnee-Batz-Untergrund sich zwei Teams à drei Spielern (plus ein Wechselspieler) tummeln, Fußballschuhe unter den Leggings, einige mit Wollmütze, manche tragen beim Einspielen Handschuhe. Was alle tragen: ein breites Grinsen im Gesicht.
Ehemalige Nationalspielerinnen und Bratapfel mit Amaretto: einfach ein „sauschönes“ Event
Klar sind hier Sportler mit natürlichem Ehrgeiz am Werk, aber wer nur eine Weile zuschaut, merkt, dass es bei diesem Klassentreffen der Volleyballbekloppten nur bedingt um den Sieg geht. Die Gaudi steht im Vordergrund: Kein Spieler, der zu „Völlig losgelöst“ nicht mitwippt, keine Netzabwehr ohne den Klassiker von Sido: „Mein Block“, mitgesungen von einer motivierten Fan-Hundertschaft auf der kleinen Tribüne. Es gibt Waffeln und Bratapfel mit Amaretto, daneben Eierpunsch und Glüh-Gin. Der frisch gebackene deutsche Meister Sebastian „Carlos“ Burgis fasst die Stimmung zusammen: „Ein sauschönes Event, ein geiler Ersatz für Beachvolleyball, ein viel höherer Spaßfaktor als in der Halle.“
Seit zehn Jahren spielt der gebürtige Bamberger Beachvolleyball, war davor in der Halle aktiv, im richtigen Leben ist er Grundschullehrer in Freiham. Team Burgis besteht aus noch drei Kumpels aus München, allesamt aktive Hallen- und Beachvolleyballer: Der Augsburger Julius Höfer spielte fünf Jahre Bundesliga für Herrsching, nun für Grafing in Liga zwei und hat sich zweimal für die deutschen Beach-Meisterschaften am Timmendorfer Strand qualifiziert. Der Grafinger Tim Noack ist dort mal Neunter und jetzt zum zweiten Mal Snow-Volley-Meister geworden, hat vor vier Jahren auf der europäischen Snow-Volley-Tour gespielt und findet Snow-Volleyball und Bayern sei wie Weißbier und Weißwurst. Der Sachse Jannik Kühlborn war in der Junioren-Nationalmannschaft, ist vor sechs Jahren zur Beach-Variante gewechselt, wo er 2023 bei der German Beach Tour den ersten Turniersieg auf der höchsten deutschen Serie feiern konnte.

Kein Wunder, dass bei solchen Klasse-Akteuren selbst auf rutschigem Geläuf grandiose Ballwechsel zustande kommen. Im Finale behält Team Burgis die Oberhand, und dass, obwohl die Truppe eine kurze Nacht hatte. Schuld daran: der im Kurort berühmt-berüchtigte Tanzschuppen „Apost‘l“, eine Kellerwirtschaft, wo Engtanz-Gruppen neben Hardcore-Schlagerfans koexistieren. Egal, Hauptsache Stimmung dachte sich der Großteil der 14 Teams (acht bei den Männern, sechs bei den Frauen). „Bis halb drei ging's schon“, beichtet Burgis grinsend – die ersten Teams standen um acht wieder auf dem Platz.
So auch Nele Barber, die mit ihren 1,83 m heraussticht. Die ehemalige Bundesliga- und Nationalspielerin verpasst ihren dritten Snow-Titel in Folge knapp, was die gute Laune nicht trübt. Mit dem Zug ist das Quartett aus Berlin ins Allgäu gereist, erzählt die 30-Jährige im schönsten Berliner Idiom: „Ne Freundin hat mich mal zu so nem Snow-Turnier einjeladen. Hab‘ ick jedacht: Haste noch nich gemacht, mach ich das Quartett voll: Halle, Beach, Gras – fehlt noch Schnee. Und weil das so geil war, sind wir jedes Jahr jekommen. Eigentlich sind wir hier, um uns ein schönes Wochenende zu machen, und das jelingt uns immer sehr gut.“ Dabei ist Kälte nicht ihr Ding: Den obligaten Dankes-Hechtbagger vor den Fans verweigert sie: „Ick mach jerade ne Ausbildung zur Feuerwehrfrau, deswegen: Kälte und ikke – det passt nich.“ Wie alle Snow-Volleyballer freut sie sich jedenfalls auf den letzten Programmpunkt der deutschen Meisterschaft: die Sauna.