Mehr als 4,8 Millionen Euro haben Slowakinnen und Slowaken gesammelt, um zur Unterstützung der Ukraine privat Waffen zu kaufen. Für eine Spende von 79 Euro kann man von der Initiative „Munition für die Ukraine“ auch ein T-Shirt erhalten, auf dem steht: „Wenn es die Regierung nicht tut, tue ich es“.
Die Regierung von Robert Fico hat nach den Beleidigungen von US-Präsident Donald Trump gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij am Wochenende bekräftigt, ihr Nachbarland Ukraine in keiner Weise militärisch unterstützen zu wollen. Angekündigt hatte Fico das schon in seinem Wahlkampf im Sommer 2023. Als er kurz darauf wieder Ministerpräsident wurde, zum vierten Mal nach einer Zeit in der Opposition, begann sich bei vielen Slowaken eine selbstbewusste Haltung durchzusetzen: Dann kümmern wir uns eben selbst.
Populisten scheinen sich in einer Regierung eben nicht automatisch zu entzaubern
Nicht nur in der Slowakei, auch in Tschechien und Polen haben die Menschen Erfahrungen mit populistischen und korrupten Regierungen. Alle drei Länder sind sie schon einmal erfolgreich losgeworden. Die Slowakei 2020, Tschechien 2021, Polen 2023. Heute aber steht es in der Slowakei um die Justiz, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und um Kultureinrichtungen schlimmer als je zuvor. In Polen wiederum steht im Mai eine Präsidentschaftswahl an, bei der erneut ein Kandidat der rechtsnationalistischen und EU-feindlichen PiS-Partei gewinnen könnte. Und in Tschechien könnte im September die proeuropäische Regierung von Petr Fiala abgewählt werden.
Populisten scheinen sich in einer Regierung eben nicht automatisch zu entzaubern – wie häufig für die AfD in Deutschland angenommen wird. Einfach mal regieren und versagen lassen, diese Rechnung ist riskant, wie der Blick nach Polen zeigt. Dort hat die PiS in Polen für ihren Machterhalt eine klare Agenda verfolgt. Und sie hat in acht Jahren so viel strukturelles Chaos angerichtet, dass es der nachfolgenden Regierung unter dem europafreundlichen Donald Tusk schwerfällt, alles wieder ins Lot zu bringen. Dass mancher Erfolg dabei ausbleibt, fällt auf ihn zurück.
Populisten sind zäh, das erfahren sie auch in Tschechien. Dort will bei der Wahl im kommenden Herbst wieder der schwerreiche Unternehmer Andrej Babiš antreten. 2021 hatten er und seine Koalitionspartner nach einer Amtszeit die Mehrheit verloren. Inzwischen profitiert Babiš längst wieder davon, dass seine Nachfolger in einer Zeit der heftigen Krisen regieren müssen. Zwar ist die Wirtschaft in Tschechien nicht so stark getroffen wie die in anderen Ländern, es geht aufwärts. Trotzdem werden steigende Preise der Regierung angelastet, und Babiš bedient erfolgreich Ressentiments gegen die EU, gegen die humanitäre Hilfe für Ukrainer im Land und gegen den teuren militärischen Beistand.
Der 70-Jährige hat sich in vier Jahren Opposition entwickelt – von einem gemäßigten Linkspopulisten, der statt des Landeswohls einfach den eigenen Vorteil im Auge hatte, zu einem Politiker im Stile des Ungarn Viktor Orbán. Mit diesem, der österreichischen FPÖ und der Französin Marine Le Pen gründete Babiš die rechtsextreme Partei „Patrioten“ im Europäischen Parlament.
Protest allein reicht vielen nicht
Was den Tschechen mit der Wiederkehr Babiš bevorstehen könnte, erleben die Slowaken schon seit Herbst 2023 mit Fico – und immer wieder gibt es seitdem landesweit Proteste, aktuell vor allem gegen seinen russlandfreundlichen Kurs. Mittlerweile gehen so viele Menschen auf die Straße, dass unter ihnen rechnerisch auch enttäuschte Wähler von mindestens zwei der drei Regierungsparteien sein müssen.

Doch sie protestieren nicht nur, sie organisieren sich auch. Zur slowakischen Präsidentschaftswahl im vergangenen April fuhren dank einer privaten Initiative ausverkaufte Sonderzüge aus Tschechien in die Slowakei. Denn viele Slowaken leben im Ausland und besonders viele im einstigen Bruderland Tschechien, wählen können sie aber nur persönlich zu Hause. Tatsächlich wurde eine Rekordwahlbeteiligung erreicht; dennoch gewann der regierungsnahe Peter Pellegrini.
Auch auf die Angriffe auf die Kultur reagierte die Zivilgesellschaft. Nachdem im vergangenen Frühjahr Institutionen geschlossen und Führungskräfte durch Vertraute der Minister ersetzt wurden, gründete sich die Initiative „Offene Kultur“. Mit dabei: Filmemacherinnen, Galeristen, Zeichnerinnen, Dozenten, Bibliotheksleiter – ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl sei da entstanden, sagte damals eine der Initiatorinnen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
Die Slowaken haben es überdies geschafft, aus dem Protest eine neue Partei hervorzubringen. Die Progresívne Slovensko (PS) errang bei der Wahl 2023 knapp 18 Prozent, ist Umfragen zufolge inzwischen noch deutlich beliebter und stellt den Bürgermeister von Bratislava. Außerdem gehören ihr erfahrene Politiker an, die früher für andere Parteien im Parlament saßen oder sogar ein Ministeramt innehatten. Der Vorsitzende war lange Europaabgeordneter, zu den Gründungsmitgliedern zählt die spätere Präsidentin Zuzana Čaputová.
Vom zivilgesellschaftlichen Engagement in die Politik
Auch bei den benachbarten Tschechen sticht eine Organisation heraus: „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ wurde 2018 von Studenten gegründet und schaffte es in kürzester Zeit Hunderttausende Menschen zu friedlichen und fröhlichen Protesten auf die Straße zu bringen. Zudem bewegte sie die fünf Parteien des demokratischen Spektrums von christlich-konservativ bis linksliberal zur Zusammenarbeit. Sie hörten auf, einander zu bekämpfen, und erklärten, sich gemeinsam für eine demokratische, rechtsstaatliche und EU-freundliche Politik einsetzen zu wollen. Daraus entstanden zwei Wahlbündnisse, die nach der Wahl 2021 wie zuvor versprochen eine Regierungskoalition bildeten.
Allerdings ist es auch vier Jahre später noch so, dass nur eine breite Allianz der Demokraten einen neuen Aufstieg des Populisten Babiš verhindern kann. Dadurch werden die zwei Seiten wie Blöcke wahrgenommen, die Wählerschaft ist gespalten. Immerhin ist „Eine Million Augenblicke“ noch tätig und weiterhin überparteilich. Regelmäßig ruft die Organisation zu Kundgebungen auf, bietet Demokratiebildung an Schulen an, klärt über Fake News auf und setzt sich für Bürgerrechte ein, etwa für das Recht auf Briefwahl.
Vom zivilgesellschaftlichen Engagement in die Politik, das gibt es auch in Polen. 2023 schafften es einige Frauenrechtsaktivistinnen über die Liste von Donald Tusks „Bürgerkoalition“ ins Parlament. Dort fordern sie unter anderem eine Lockerung des strengen Abtreibungsverbots, bislang vergeblich. Für viele Polinnen heißt es deshalb weiterhin: Selbst tun, was der Staat nicht für sie tut. So kann das „Aborcyjny Dream Team“, ein spendenbasierter Verein zur Abtreibungsberatung, der bislang nur telefonisch und online erreichbar war, am Frauentag am 8. März in Warschau seine erste Anlaufstelle eröffnen.
Nicht nur auf Wahlen warten und auf den Staat hoffen, sondern den Staat selbst gestalten. Das haben viele Menschen in Polen, Tschechien und der Slowakei notgedrungen gelernt.