Dem Schnee in Sun Valley sagt man besondere Qualitäten nach. Trockener als woanders fällt er in den Rocky Mountains, das sorgt für ein verändertes Gefühl auf den Abfahrten, unter dem Ski, wie es in der Fachsprache heißt. Sogar Profirennfahrer müssen sich immer erst an die Bedingungen gewöhnen, auch die besten Europäer wie Marco Odermatt haben damit ihre Schwierigkeiten. Nur: Wie dieser Schnee auf Tränen reagiert, das wusste man bis zum Sonntagnachmittag nicht in Sun Valley. Bis Lindsey Vonn eines der bedeutenderen Rennen ihres Lebens fuhr.
82 Weltcuprennen hat Vonn im Verlauf ihrer Karriere gewonnen, Abfahrten, Super-G, Riesentorläufe, sogar zweimal im Slalom. Sie hat bei Weltmeisterschaften acht Medaillen geholt, bei Olympischen Spielen drei, und bei all diesen Triumphen kann ein zweiter Platz schnell zu einer Makulatur verkommen. Zweite zu werden, das hieß für Lindsey Vonn immer, nicht Erste zu sein. Bis zu diesem finalen Super-G der Saison 2024/25 jedenfalls galt das, nach dessen Ende man die zweitplatzierte Vonn beobachten konnte, wie sie im Schnee von Sun Valley saß und schluchzte. Erleichterung, Rührung, Trotz, all das konnte man ihr im Zielraum und später bei der Siegerehrung ansehen – vor allem aber die Erkenntnis, dass sich all der Aufwand gelohnt hatte, für diesen einen Podestplatz.

Ski alpin
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Auf der Jagd nach der Vonn, die sie einmal war
Wo Lindsey Vonn im Ski-Weltcup auftaucht, dreht sich alles um die 40-Jährige. Doch bei ihrem Comeback muss sie Rückschritte hinnehmen. Ihr Ehrgeiz ist der alte, die Ergebnisse nähren indes neue Zweifel.
Man hatte mit vielem rechnen können, als Vonn im vergangenen Herbst ihr Comeback im Alter von 40 Jahren ankündigte. Dass ihre Teilprothese im Kniegelenk die Belastungen aushalten würde, hatten ihr die Ärzte zwar prognostiziert, nur war es eben auch eine Art Testlauf, mit einem so lädierten Knie über Weltcup-Pisten zu rauschen. Auch damit, dass Vonn Zeit benötigen würde, um ihre Materialabstimmung zu finden, war zu rechnen gewesen. In fünf Jahren Abwesenheit hatten die Ski sich weiterentwickelt, teilweise fuhren sie mit ihr, obwohl es andersherum sein sollte. Und dass ihr Körper in diesem Alter nicht immer allen Herausforderungen aus Reisen und Rennen gewachsen sein würde, war ebenso klar: Vonn erwischte immer wieder Krankheiten, insbesondere bei der Weltmeisterschaft in Saalbach-Hinterglemm im Februar verhinderte dies bessere Ergebnisse.
Das Knie, der Ski, die Reisen, das waren am Ende jedoch Herausforderungen, denen Vonn sich bewusst gestellt hatte mit ihrer Entscheidung, noch einmal zurückzukommen. Womit sie nicht gerechnet hatte, war der fehlende Respekt ihr gegenüber. Oder, mehr noch: wie der Skizirkus über eines seiner bekanntesten Gesichter die Nase rümpfte.
Einen „Vollschuss“ unterstellte man einer der erfolgreichsten Athletinnen der Sportart, „bescheuert“ seien ihre Comeback-Pläne
Man muss die Aussagen immer noch mal wiederholen, die die sogenannten Legenden von sich gaben, damals, zu Beginn des Winters. Einen „Vollschuss“ unterstellte man einer der erfolgreichsten Athletinnen der Sportart, „bescheuert“ seien ihre Comeback-Pläne, und das war nur der öffentliche Teil: Im Hintergrund machten sich viele über ihre Rückkehr lustig. Erst recht, als sich im Januar zeigte, dass auch ihr weiterhin Fahrfehler passieren und der Weg zurück auf das Podium schwieriger werden könnte als erhofft. Entschuldigt, sagte Vonn vor einem Monat in der BR-Sendung „Blickpunkt Sport“, habe sich bei ihr dafür immer noch niemand. Sie hatte auch viele Unterstützer, wie den ehemaligen Rennläufer Marco Büchel, der Sexismus witterte, weil viele sich über Vonns Comeback lustig machten, während etwa die Rückkehr von Marcel Hirscher wesentlich positiver begleitet wurde. Aber die kritische Minderheit war lauter – und blieb im Gedächtnis.
Zwei Effekte hatten die Debatten um Vonn. Einerseits stellten sie die umfassende Neidkultur unter Beweis, die im Skisport herrscht, vor allem wenn es um Aufmerksamkeit geht: Die bekam Vonn zur Genüge, was nicht allen unbedingt passte. Vor allem nicht denjenigen, die ihr und dem gewissen Center-of-Attention-Leben, das sie führte, schon immer kritisch gegenübergestanden hatten. Vor allem aber wuchs in Vonn von Woche zu Woche der Trotz, es nun erst recht allen beweisen zu wollen.
Vielleicht brauchte es den amerikanischen Schnee unter ihren Skiern, den sie besser kennt als jede andere. Oder aber sie benötigte das Gefühl der letzten Chance, die sich ihr nun bot: Vonn hat bereits angekündigt, dass nach den Olympischen Spielen im kommenden Jahr definitiv Schluss sei mit ihrer Karriere – nur findet im kommenden Winter kein Speedrennen der Frauen in den USA statt, weshalb sie in Idaho das letzte Heimrennen ihrer Karriere bestritt. Eine Olympiamedaille bleibt das große Ziel, dafür wird Vonn weiter gegen alle Widerstände kämpfen. Aber sich aus ihrer Heimat zu verabschieden mit dem Titel der ältesten Skirennläuferin, die jemals auf einem Weltcuppodest stand, kam einer Krönungszeremonie gleich, die kaum zu steigern sein wird.
„Es war eine harte Saison, in der die Leute sagten, ich könne es nicht, ich sei zu alt, ich sei nicht mehr gut genug“, sagte Vonn später, als die Tränen im Schnee schon versickert waren, sie hatte etwas Triumphales in ihrer Stimme: „Ich glaube, ich habe es allen gezeigt.“