Im Handbuch für Backpacker wird Melbourne ein ozeanisch gemäßigtes Klima bescheinigt, was angesichts der Witterungsbedingungen beim Saisonauftakt der Formel 1 leicht verharmlosend wirkte. Am zweiten Herbstwochenende in Australien behielt ein Einheimischer Recht, der hinter der Boxengasse für die Sicherheit zuständig war und sagte: „Wir haben hier manchmal vier Jahreszeiten an einem Tag.“
Das Phänomen des abrupten Wetterwandels trifft häufig auch die Australian Open im Tennis, aber dort sorgt das von der nahen Port Philipp Bay bestimmte Mikroklima nicht annähernd für ein so großes Chaos wie auf der Gelegenheitsrennstrecke im Albert Park. Hier erfuhr die Formel-1-Welt, dass die Stärke des Regens in die Kategorien eins, zwei und drei einzuteilen ist – und dazu dann die passenden Reifen bereitgestellt werden. Ein netter Versuch, nur hielten sich Wolken und Windböen nicht an die Prognosen der Rennstrategen. Als mit Isack Hadjar der erste Fahrer auf dem Weg in die Startaufstellung von der nassen Piste in die Barrieren rauschte, war klar, dass es sich beim Großen Preis von Australien um die Kategorie 100 handeln würde – was das Chaos angeht.

Formel 1
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Norris gewinnt den turbulenten Saisonstart
Der erste Grand Prix der neuen Formel-1-Saison ist geprägt von Regen und Unfällen. Lando Norris setzt sich in Melbourne vor Titelverteidiger Max Verstappen und George Russell durch. Lewis Hamilton wird bei seinem Debüt für Ferrari Zehnter.
Die letzten 13 der 57 Runden, nach drei Safety-Car-Phasen, mehreren Wolkenbrüchen und sechs Un- und Ausfällen brachten immerhin ein Ergebnis. Sogar eines, das den hohen Erwartungen an diese spannende Saison in der Königsklasse entsprach: Glücklicher Sieger mit 0,895 Sekunden Vorsprung wurde Lando Norris, der damit nach mehr als 1000 Tagen Titelverteidiger Max Verstappen von der Spitze der WM-Wertung verdrängte. Die beiden Kumpels, gnadenlose Rivalen mit wechselndem Rennglück, waren damit mindestens so zufrieden wie George Russell, der den Silberpfeilen den ersten Podestplatz der Saison sicherte. Sein Mercedes-Teamkollege Andrea Kimi Antonelli wurde nach erfolgreichem Protest gegen eine zuvor ausgesprochene Strafe wegen gefährlichen Fahrens Vierter.
Die Ferrari-Piloten beharken sich und landen nur auf Mittelfeldplätzen
Verstappen hatte selten einen zweiten Platz so gelassen hingenommen wie diesen, das Red-Bull-Auto war ihm zuvor als Wundertüte erschienen, aber jetzt konnte er nachrechnen: „Ich habe 18 Punkte mehr geholt als im letzten Jahr.“ 2024 war Melbourne die dritte WM-Station gewesen – und Verstappen ausgeschieden. Jetzt nahm er Witterung auf. Gern gab er zu, dass sogar bei einem Regenspezialisten wie ihm zwischendurch „ein bisschen Panik ausgebrochen“ sei.
Schlechter erging es Oscar Piastri, hinter seinem McLaren-Teamkollegen Norris vom zweiten Rang aus gestartet, er wurde am Ende bloß Neunter. Zwar auch deshalb, weil das britische Team dem Australier zwischenzeitlich untersagt hatte, den Führenden Norris anzugreifen und zu überholen. Wohl aus Sorge, dass sich dann beide gegenseitig aus dem Rennen werfen könnten. Ganz zum Schluss, als Verstappen mit seinem Red Bull ebenfalls an Norris dran war, wurde diesem gleichsam geraten, es nicht zu übertreiben in einem Kampf: „Denk dran, du hast ein überlegenes Auto.“

Termine der Saison im Überblick
:Formel-1-Rennkalender 2025: Alle Rennen und Ergebnisse
Auftakt in Australien, Finale in Abu Dhabi: 24 Grand Prix warten in der Formel-1-Saison 2025 auf die Fans. Der Rennkalender mit allen Terminen, Rennen und Ergebnissen im Überblick.
Diese These aus den Testfahrten hat weiterhin Bestand, auch wenn Piastri dann beim versuchten Sprung an die Spitze in Runde 46 plötzlich im tiefen Gras steckte und nur mit Mühe zurück auf die Piste gelangte. Nix war es mit dem möglichen ersten Sieg eines Australiers im Heim-Grand-Prix. Mit viel Wut im Bauch bugsierte er das papayafarbene Auto noch auf den neunten Rang. Über die Stallorder wollte der 23-Jährige gar nicht erst reden: „Ich muss die Schuld allein bei mir suchen.“ Klar ist, dass das Stallduell beim Stand von 2:23 Punkten damit eröffnet ist. McLaren konnte sich dagegen auch über den Reifenwechsel zur richtigen Zeit freuen. „Uff“, stöhnte Norris nach der Zieldurchfahrt: „Wir hätten keine Runde später auf Mischreifen wechseln dürfen. Wir haben aus unseren Fehlern im letzten Jahr gelernt.“
Genau diesen Zeitpunkt hatte Ferrari beim Saisonauftakt verpasst. Statt sich als zweite Kraft zu etablieren, fanden sich Charles Leclerc und Lewis Hamilton auf den Rängen acht und zehn wieder. Die Diskussionen zwischen den Fahrern und den italienischen Ingenieuren am Kommandostand hatten erneut hohen Unterhaltungswert, bis die Piloten unisono blafften, man möge sie in Ruhe lassen mit technischen Hinweisen. „Das Auto war heute ganz schwer zu fahren“, beklagte sich Hamilton später: „Ich bin einfach dankbar, dass ich keine Mauer geküsst habe.“
„Wir waren da, als andere Probleme hatten“, sagt Sauber-Zugang Nico Hülkenberg
Heftiger und früher als erwartet trat die Rivalität der beiden Piloten in Rot zutage. Der Monegasse und der Brite, die wochenlang Harmonie ausstrahlten, beharkten sich sogar härter als die McLaren-Fahrer. Im Zweikampf ganz zum Schluss hätten sie sich fast berührt. Bei diesem gnadenlosen Duell ging es bloß vordergründig um eine Platzierung, in Wirklichkeit um die interne Hackordnung. Hamilton war bei seinem Ferrari-Debüt schon näher am Teamkollegen dran als gedacht. Die roten Autos blieben zwar auf der Strecke, Ferrari aber rutschte ergebnismäßig in die erste Krise der Saison.
Ganz anders die Stimmung beim Schweizer Sauber-Rennstall, der sich zum Jahresende in das Audi-Werksteam verwandelt. Das Schlusslicht hat im ersten Grand Prix bereits das Ergebnis der vergangenen Saison übertroffen (vier Punkte), dank eines siebten Platzes von Zugang Nico Hülkenberg. Mit seiner Routine hatte sich der vom enttäuschenden 17. Platz gestartete Emmericher klug aus allen Kämpfen herausgehalten. Die Strategen setzten zur richtigen Zeit auf die richtigen Gummis, plötzlich wurde er nach vorn gespült.
Überbewerten möchte der 37-Jährige das nicht: „Das war Balsam für die Seele des Teams. Wir waren da, als andere Probleme hatten.“ Mitleid hatte er mit den sechs Neulingen, von denen nur zwei ins Ziel gekommen sind: „Hut ab, ich hätte solche Bedingungen nicht beim ersten Rennen haben wollen. Es war brutal.“ Genau das hatten die Veranstalter den mehr als 465 000 Besuchern über das Wochenende via Werbebotschaft besprochen: „Es ist Melbourne. Erwarten sie nicht weniger als das.“ Eher mehr.