Am Samstag schaute der Berliner Tagesspiegel den Hertha-Fans aufs Maul, wie man so schön sagt, und zutage trat unter anderem eine tragisch-schöne Geschichte. Über eine Begegnung im tschechischen Speisewagen eines Zuges nach Dresden, in dem „ein Mann aus Prag“, Hertha-Fan, „bei einem frisch gezapften Pils“ (nimm dies, Deutsche Bahn!) erzählt habe, dass er seit vier Jahren alle paar Monate zu Hertha-Spielen fahre. Der Atmosphäre wegen, und das heißt: nur der Atmosphäre wegen. Denn einen Sieg habe er noch nie gesehen. „Was für ein Wahnsinn!“, kommentierte der Reporter: „Seit vier Jahren Hertha spielen sehen, ohne drei Punkte mit nach Tschechien zu nehmen.“
Der Weg aus Prag nach Berlin ist bei Weitem nicht so beschwerlich wie die Fahrt von Prag nach Braunschweig, wo Hertha am Sonntagmittag zu Gast war. Man muss daher wohl eher nicht davon ausgehen, dass der Herthaner sich auf den Weg ins Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße machte. Sollte er also daheim geblieben sein, dürfte er die Erfüllung einer Sehnsucht verpasst haben, die man ihm unterstellen darf: die Sehnsucht nach einem Sieg. Einem deutlichen und kommoden Sieg im Abstiegsduell. Zur Pause führte Hertha 3:0, am Ende kamen die Braunschweiger Löwen mit 1:5 unter die Räder. Durch den ersten Sieg unter dem seit vier Spielen amtierenden Trainer Stefan Leitl tat Hertha damit einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenverbleib – vor allem dank Regisseur Ibrahim Maza und Doppeltorschütze Fabian Reese.
Gleich der erste vielversprechende Angriff der Hertha sitzt
Der Sieg der Hertha war von großer Effizienz getragen, gegen einen Gegner, der aufgrund einer Reihe von Unzulänglichkeiten im Spiel nach vorn und einer teilweise desolaten Defensivleistung veranschaulichte, warum er so tief im Tabellenkeller steht. Hertha hingegen ging durch Reese in Führung, der wahrscheinlich wichtigste Spieler Herthas schloss den ersten vielversprechenden Angriff der Berliner mit einem sehenswerten Schuss aus sieben Metern unter die Querlatte ab.
In der Folge machte vorrangig Ibrahim Maza auf sich aufmerksam – erst mit einem tückischen Distanzschuss (20.), den Braunschweigs Torhüter Hoffmann mit Mühe parierte, dann mit einem Pass von solcher Schönheit, die erklärt, warum diverse höherklassige Klubs Maza verpflichten wollen. Am Ende stürzte Hertha die Eintracht kraft ihrer individuellen Qualität in den Abgrund. Das galt vor allem für das zweite Tor.
Reese bediente Michaël Cuisance, und dieser hatte die Ruhe, die Braunschweiger Verteidigung im Strafraum zu verwirren, indem er mit großer Klasse verzögerte, ehe er den Ball auf Derry Scherhant hinüberlegte. Scherhant wiederum drehte sich um die eigene Achse, traf zum 2:0 und widmete sich sodann der Erarbeitung des dritten Treffers. Er legte einen Pass von Maza quer in den Fünfmeterraum, wo Eintracht-Verteidiger Jannis Nikolaou den Ball ins eigene Tor trat.
Damit war das Spiel nach menschlichem Ermessen gelaufen: Die Braunschweiger durften als gesichert ansehen, dass sie selbst auf dem Relegationsplatz verbleiben und wiederum die Berliner ihren Vorsprung um drei Zähler auf sechs Punkte ausbauen würden. Es gab unmittelbar nach der Halbzeit zwei Abschlüsse der Eintracht. Aber sie taugten allenfalls als Deklinationen des Begriffs Strohfeuer. Auch, weil die Herthaner die besseren Chancen hatten – und durch Reese bei einem Konter zum 4:0 kamen (69.). Auf den Tribünen des Braunschweiger Stadions hatten sich die Reihen gelichtet, als Reese ausgewechselt wurde. Und so verpasste nicht nur der Prager Herthaner, sondern auch ein Teil der Braunschweiger Zuschauer etwas: einen nutzlosen Ehrentreffer durch Lino Tempelmann – und den Schlusspunkt durch den eingewechselten Marten Winkler, jeweils in der Nachspielzeit.