Einige seiner Fragen, sagte Liam Lawson nach dem Großen Preis von China, hätte das Rennen beantwortet. Der Neuseeländer sprach nach seinem zweiten Einsatz für Red Bull Racing durchaus tapfer: „Ich möchte das Auto so schnell wie möglich verstehen.“ Das zeugte davon, dass der 24-Jährige ein Gemüt aus Karbon zu besitzen scheint, was prinzipiell die beste Voraussetzung ist, um sich an der Seite von Max Verstappen zu versuchen. Er erlebe einen „Lernprozess“, noch so eine schöne Vokabel, die vermutlich in jedem anderen Formel-1-Rennstall ihre Berechtigung im Umgang mit einem Neuling hätte. Für die Red-Bull-Maßstäbe dauert die Eingewöhnung Lawsons allerdings schon deutlich zu lange, weshalb es bereits nach dem zweiten Rennen der Saison zur ersten Cockpit-Umbesetzung kommen könnte. Lawson läuft die Zeit davon, weil Verstappen ihm davonfährt.
An der Seite des Niederländers sind noch wenige Rennfahrer, ob Rookie oder Routinier, glücklich geworden. Es ist ein vermeintlicher Traumjob, Teil des A-Teams der rasenden Bullen zu sein, der sich schnell als Alptraum entpuppen kann. In Schanghai, wo Verstappen am Sonntag Vierter wurde, belegte Lawson (nach zahlreichen Disqualifikationen anderer) den 15. Platz. Das besagte nicht viel, wohl aber der Zeitabstand zwischen den beiden Piloten: weit über eine Minute. Richtig offensichtlich werden die Unterschiede beim Blick auf die Qualifikationszeiten. Diese sind der eigentliche Leistungsmaßstab, beide Fahrer sitzen dann im gleichen Auto, jeder ist allein, auf einer Runde. Was soll man sagen? Letzter Startplatz für Lawson im Sprint im Schanghai! Letzter Startplatz auch für das Rennen am Sonntag! Beim Debüt in Australien reichte es für ihn auch nur zum 18. Startrang. Der Abstand zu Verstappen auf einer Runde: jeweils eine Sekunde. Das sind nicht Welten, das sind Galaxien.
Auch Verstappen klagt über sein launisches Fahrzeug – bei Lawsons Vorgänger dürften die Korken knallen
Vom Selbstbewusstsein her, dies schon, erscheint Lawson schon wie ein Champion. Aber angesichts der trüben Realität hat das Ego schon Risse bekommen. Ihm dämmert die Erkenntnis: „Über weite Strecken einer Runde sind wir uns sehr ähnlich, aber es gibt einige kritische Punkte. Max schafft es, das Limit überall zu spüren und sich damit wohlzufühlen. Das ist etwas, woran ich noch arbeite.“ Arbeitsfenster nennt sich jener Bereich bei einem Rennwagen, in dem dieser optimal funktioniert. Und der RB 21 hat ein noch schmaleres Fenster als seine Vorgängermodelle, es ist kein Fenster, sondern eher eine Luke.
Sich damit zu arrangieren, die optimale Fahrzeugabstimmung hinzubekommen, schon das ist eine Wissenschaft für sich. Selbst Verstappen klagt über die Extremanforderung. Aber kraft seines Talents, Fahrgefühls und seiner Routine bekommt der 27-Jährige das besser hin als seine Teamkollegen. Schon Sergio Pérez, ein gestandener Formel-1-Pilot, scheiterte daran. Im vergangenen Jahr wurde der Mexikaner trotz eines gerade erst verlängerten Vertrags durch Lawson ersetzt. In Guadalajara dürften nun die Korken geknallt haben angesichts der noch dürftigeren Darbietungen seines Nachfolgers. Der im Duell mit Verstappen untergegangene Pérez weiß jetzt zumindest, dass es an ihm allein nicht gelegen haben kann.

Neue Talente in der Formel 1
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Der kleine Erlöser und seine Gefährten
Sechs Neulinge sind in ihre erste Formel-1-Saison gestartet, so viele wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Lediglich zwei von ihnen kommen in Melbourne ins Ziel – und nur Andrea Kimi Antonelli bei Mercedes zeigt sich reif. Gut, dass Papa Hamilton trösten kann.
Aber im Auslesesport Formel 1 lässt es sich mit schönen Erklärungen nicht überleben, schon gar nicht bei Red Bull, wo die Rennstalltemperatur schnell auf Kühlregalniveau sinkt, wenn es an Leistung fehlt. Natürlich wissen die Verantwortlichen, dass die launische Fahrzeugkonstruktion den Fahrer nicht bloß fordert, sondern der Steuermann regelrecht gegen seinen Dienstwagen fahren muss. Deshalb kommt es in dieser Woche auch zu einer Krisensitzung in der Rennzentrale in Milton Keynes. Abzuwägen bleibt, ob mit einer Auswechslung Lawsons noch mehr Unruhe in die Truppe kommt – oder ob es dringend Abhilfe braucht, denn jeder Punkt bringt in der Konstrukteurswertung richtig Geld.
Die schnelle Lösung ist vielleicht ein Tauschgeschäft. Schon vermeldet der Fahrerlagerfunk, dass Lawson vom nächsten Rennen an wieder im Nachwuchsteam der Racing Bulls sitzen könnte und stattdessen der Japaner Yuki Tsunoda, im internen Ausscheidungsfahren im letzten Winter noch Lawson unterlegen, den Job neben Verstappen übernehmen könnte. Tsunoda fährt in der besten Form seines Lebens, und vom Charakter her schert er sich um nichts, auch nicht um einen Verstappen. Das würde für ihn sprechen, auch wenn er um das Risiko wissen muss, im direkten Duell mit dem viermaligen Weltmeister verheizt zu werden. Die Liste der Opfer Verstappens ist lang: Carlos Sainz junior, Daniel Ricciardo, Pierre Gasly, Alex Albon, Sergio Pérez – alles gestandene Formel-1-Fahrer, alle hatten das Nachsehen. Die meisten bekamen nicht mal den Fuß auf den Boden, wie der Franzose Gasly, der 2019 nach zwölf Rennen ausgetauscht wurde.
„Ich bin doch nicht naiv“, sagt Lawson über seine missliche Situation: „Es braucht einfach Zeit. Leider habe ich keine.“
Helmut Marko, der oberste Talentverwalter des Red-Bull-Juniorenpools, sagt zur Causa Lawson einen Satz, der wie eine Plattitüde erscheint: „Bei uns zählt das Leistungsprinzip, das weiß jeder. Wir werden das in Ruhe analysieren.“ Für den Grazer ist das fast schon eine weichgespülte Formulierung, aber sie erfüllt den Zweck einer Abmahnung. Teamchef Christian Horner macht Lawson auch wenig Hoffnung: „Die Formel 1 ist ein hartes Geschäft, das von Druck bestimmt wird. Zeit ist immer ein entscheidender Faktor, und Liam weiß das. Ich hoffe, er wird entsprechend reagieren.“ Falls er überhaupt noch die Chance dazu bekommt. „Ich bin doch nicht naiv“, sagt Liam Lawson über seine missliche Situation: „Es braucht einfach Zeit. Leider habe ich keine.“
Max Verstappen hat es mehr und mehr satt, eine Ein-Mann-Show zu sein. Er wünscht sich einen Teamkollegen, der ihm taktischen Schutz geben und ihn antreiben kann. „Wenn man sich die anderen Rennställe anguckt, sind die Teamkollegen dort näher beieinander. Das zeigt natürlich auch, dass unser Auto extrem schwierig zu fahren ist.“ Indirekt rät auch er Liam Lawson, wieder zurück in den Ausbildungsrennstall zu wechseln: „Ich glaube wirklich, dass er dort schneller sein würde.“
Der VCARB 02 erscheint momentan tatsächlich als das bessere Rennauto gegenüber dem RB 21, was das Fachmagazin Auto, Motor und Sport zu einem reizvollen Gedankenspiel bewegt: „Hätte Verstappen im B-Team möglicherweise bessere Chancen, seinen Titel zu verteidigen?“