Seit 2022 bietet Justice Mvemba Stadtführungen zur deutschen Kolonialgeschichte an. Eine im afrikanischen Viertel in Wedding, eine andere im Humboldt-Forum, mit Station in der Ausstellung des Ethnologischen Museums, in der unter anderem Objekte aus afrikanischen Ländern gezeigt werden. Viele davon gelangten in der Kolonialzeit in deutsche Hände.
Mvemba, die im Kongo geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, erzählt Interessierten für 29 Euro pro Person, wie das Berliner Schloss mit dem Kolonialismus verwoben ist oder wie es um geraubte Objekte in den Sammlungen steht. Es waren schon Schulklassen angemeldet, auch Angehörige des Berliner Senats haben gebucht, rund 12.000 Teilnehmende im Laufe der Zeit, so Mvemba.
Nun hat der Besucherservice und Vermittlungsdienst des Humboldt-Forums Mvemba aufgefordert, die Touren in den Ausstellungsräumen einzustellen. Sie verstoße damit gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) des Hauses. Das postete Mvemba zunächst auf Instagram und fragt ihre Follower: „Was sollen wir tun? Aufhören. Aufgeben. Weiter darauf beharren, dass Dekoloniale Perspektiven Raum und Platz finden müssen?“
Humboldt-Froum bestreitet inhaltliche Vorbehalte
Vom Humboldt-Form hieß es auf Anfrage des Tagesspiegels: Externe gewerbliche Touren seien nach den aktuellen AGBs nur in Schlüterhof, Passage und weiteren Außenbereichen gestattet. Nicht aber in den Ausstellungsräumen. „Dies gilt für alle externen Touren – es geht hier also nicht um die Inhalte der Dekolonialen Touren“, so Pressesprecher Michael Mathis. Auch Führungen des Fördervereins habe man abgesagt.
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Mvemba erzählt, die erste Aufforderung, die Touren in den Ausstellungungsräumen zu unterlassen, habe sie im Frühjahr 2024 erreicht. Es folgten Gespräche mit dem Besucher- und Vermittlungsservice, darüber, wie und ob Mvembas Führung in den Vermittlungsservice des Humboldt-Forums aufgenommen werden könnte.

© imago/imagebroker/Michael Weber
Das Humboldt-Forum war nach eigenen Aussagen interessiert, Mvemba als freie Vermittlerin in den bestehenden Tour-Pool zu integrieren. Nur fand man in bisherigen Gesprächen keinen gemeinsamen Weg.
Inhaltlich unterstütze man die Touren sehr, heißt es aus dem Humboldt-Forum. Begleitet wird das Statement aus der Pressestelle der Stiftung von einer mehr als zehn Punkte umfassenden Liste von hausinternen Vermittlungsformaten, die koloniale Themen behandeln, etwa Restitution oder die Untersuchung von Machtverhältnissen in Sammlungen und Ausstellungen.
Kein Vertrauen in die Aufarbeitung
Allerdings sieht die BIPoC-Community (die Abkürzung steht für Black, Indigenous and People of Color und ist eine Selbstbezeichnung von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen) die Aufarbeitungsversuche des Humboldt-Forums kritisch. Mvemba ist da nicht alleine. Auch in den sozialen Netzwerken werden Zweifel an ernsthaften Aufarbeitungsabsichten des Hauses hinter der Schloss-Fassade laut.
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Gefordert wird etwa, dass Institutionen ihre Vermittlungsarbeit nicht nur eigenen Experten und Kunsthistorikern überlassen. Es fehlten grundsätzlich afrodeutsche oder Schwarze Ansprechpartner innerhalb des Humboldt-Forums. Dass die deutsche Institution mit den Sammlungsobjekten aus ehemaligen Kolonien Geld einnimmt, empfindet Mvemba als Fortsetzung kolonialer Strukturen. Voraussichtlich im Herbst wird die seit der Eröffnung kostenfreie Phase im Humboldt-Forum enden.
Mvemba ist inzwischen nicht mehr zu einer Zusammenarbeit mit dem Humboldt-Forum bereit. In einer am Montag versandten Pressemitteilung schreibt sie, sie sehe „keine Möglichkeit für eine gleichberechtigte und wertebasierte Zusammenarbeit“.
Mit dem angebotenen Stundenhonorar als freie Vermittlerin, zu zahlenden Gebühren an das Humboldt-Forum und von ihr zu tragenden Marketingkosten sei das Geschäftsmodell ihrer Firma deSta zerstört. „Die Vorschläge des Humboldt-Forums zeigen deutlich, dass es nicht um eine ernsthafte Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit geht, sondern um rein wirtschaftliche Interessen.“
AGBs sind AGBs, könnte man nun sagen. Aber es gibt hinsichtlich der Zulassung externer Führungen in Museen durchaus unterschiedliche Regelungen. Bei den anderen Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin, zu denen organisatorisch auch das Ethnologische Museum gehört, wenngleich es unter im Humboldt Forum untergebracht ist, sind kommerzielle Fremdführungen nach vorheriger Anmeldung und gegen Entrichtung einer Gebühr von 50 Euro pro Gruppe möglich, sagt Pressereferent Timo Weißberg.
Auch im Jüdischen Museum Berlin sind externe Führungen gegen eine Lizenzgebühr möglich, „wenn die Führungen den Qualitätsstandards des Museums entsprechen“, erklärt Pressesprecherin Margret Karsch. Das JMB hat einen festen Stamm an externen Stadtführerinnen und Guides, die das Haus regelmäßig mit ihren Gruppen besuchen. Die hohe Nachfrage an Führungen könnte das Haus mit den eigenen Kapazitäten nicht abdecken.
Ethnologisches Museum
Das aus der königlichen Kunstkammer hervorgegangene Ethnologische Museum Berlin gehört seit seiner Gründung 1873 international zu den größten Museen seiner Art. In seinen Sammlungen befinden sich circa 500.000 ethnografische, archäologische und kulturhistorische Objekte aus Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien.
Große Teile der weltweiten materiellen und immateriellen Sammlungen, die sich heute in den Beständen europäischer Museen befinden, wurden unter kolonialen, oft gewaltsamen, Bedingungen zusammengetragen. Die Museen in Berlin wurden im Deutschen Reich ab 1889 zu zentralen Sammelstellen für natur- und kulturhistorische Objekte aus den deutschen Kolonien erklärt. Mehr Informationen zum Ethnologischen Museum und kolonialen Verbrechen.
Die Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin ist seit 2022 im Humboldt Forum ausgestellt. Das Ethnologische Museum ist Teil der Staatlichen Museen zu Berlin.
Ein zentrales Kriterium sei, dass die Führungen dem sogenannten Beutelsbacher Konsens folgen müssen. „Die Prinzipien geben unter anderem vor, dass Guides die Gruppe nicht mit ihrer persönlichen Haltung und Meinung überwältigen dürfen. Die Richtlinien definieren außerdem, dass in der Wissenschaft und Politik kontrovers diskutierte Sachverhalte ebenso kontrovers – also alle wissenschaftlich fundierten Positionen umfassend – dargestellt werden müssen.“ Eigene Meinungsbildung soll möglich sein.
Weil es nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 erstmals Beschwerden von Besuchern an der Qualität von Führungen externer Anbieter gegeben habe, arbeitet das Jüdische Museum derzeit an einem neuen Konzept für die externe Vermittlung.
Auch die Stiftung Humboldt-Forum erwägt eine Änderung ihrer AGBs. Wenn im Zuge der Änderung der Eintrittspreise ab Herbst die AGBs ohnehin überarbeitet werden, könnte gegebenenfalls auch der Passus zu externen, kommerziellen Führungen geändert werden, so das Haus. Auch im Humboldt-Forum könnte dann ein Lizenzmodell zum Tragen kommen. Und Führungen wie die von Mvemba wären theoretisch im Haus möglich.