Das Oktagon, der Käfig aus den Mixed-Martial-Arts, ist kein „safe space“. Hier wird mit allen Mitteln, auch nicht ganz sauberen, gekämpft. Darum reagiert die ehemalige MMA-Fighterin Sarah, die im letzten Profi-Kampf ihrer Karriere böse Prügel einstecken musste, erst mal total perplex, als eine Schülerin in der Trainingshalle zu ihr sagt, dass sie mit ihrem Schlag ins Gesicht jetzt aber wirklich persönliche Grenzen überschreiten würde. Meint sie ganz ernsthaft, während die Freundinnen versuchen, die beste Kampfpose für Social Media festzuhalten.
Natürlich hat die österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub diesen kurzen Dialog nicht ganz so ernsthaft in ihren zweiten Spielfilm „Mond“ geschrieben. Man darf ihn als freundlichen Seitenhieb auf die Generation Z und ihr schneeflockiges Sicherheitsempfinden verstehen, das noch kein Bewusstsein für die eigenen Privilegien entwickelt hat. Die Sorgen Sarahs sind nach dem Ende ihrer Karriere schon etwas greifbarer, existenzieller. Sie schlägt sich durch, während ihre Schwester sich mit Mann und Baby bereits in einem bürgerlichen Leben eingerichtet hat.
Was hat eine Europäerin in Jordanien verloren?
Sarah treibt etwas orientierungslos als MMA-Trainerin durchs Leben, weswegen der Anruf aus Jordanien wie gerufen kommt. Sie soll drei jungen Mädchen Privatunterricht geben, der große Bruder will das Freizeitprogramm für seine Schwestern fürstlich entlohnen. Sarah denkt sich nichts dabei, aber bei ihren Freunden schrillen gleich die Alarmglocken. Ob sie auch ein Kopftuch tragen werde, will eine Freundin wissen. Das ganze Programm kultureller Ressentiments wird nochmal in lockerer Stammtischatmosphäre durchbuchstabiert. Fazit: Was hat eine emanzipierte Frau aus Europa schon in Jordanien verloren?
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Ayub hat bereits ein paar Arbeiten über westliche Vorstellungen vom islamischen Kulturraum in ihrem künstlerischen Portfolio. Aktuell läuft an der Berliner Volksbühne ihr Theaterdebüt „Weiße Witwe“ über ein islamisches Terrorregime in Europa unter der männermordenden Königin Aliah – lose angelehnt an das Märchen „1001 Nacht“, bloß unter umgekehrten Vorzeichen. Ihr Spielfilmdebüt „Sonne“ aus 2022 handelt von drei Teenagern, die sich mit Burkas verkleidet beim Twerken zu REMs Pophit „Losing my Religion“ filmen. Das Video wird ein viraler Hit in der kurdischen Community.
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Der Film
Mond Österreich 2024 Regie und Buch: Kurdwin Ayub. Mit: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker. 92 Minuten. Kinostart: 27. März
„Mond“, der zweite Teil von Ayubs „kosmischer“ Trilogie über das Verhältnis von Westen und Nahem Osten – der letzte wird „Sterne“ heißen und von einer Journalistin im Irak handeln, die sich nach der Übernahme durch islamistische Fundamentalisten auf der Flucht befindet – unterscheidet sich formal stark von dem wilden Mix aus Video-Tagebuch, Handyvideos und Textnachrichten des Vorgängers. Schon die Hauptrolle, ein grandioser Besetzungscoup, verspricht einen Actionfilm á la „Eine Frau sieht rot“. Florentina Holzinger ist in ihrer Heimat Österreich noch etwas berüchtigter als Ayub, in Berlin hat das Radical-Chic-affine, Feuilleton-studierte Publikum ebenfalls Gefallen an den Extrem-Performances der österreichischen Choreografin gefunden.
Soap Operas im Luxusgefängnis
Aber angekommen in Amman, verfrachtet in einen dekadent-prunkvollen Palast außerhalb der Hauptstadt, passiert lange erst mal: nichts. Es sind andere Privilegien, die Sarah hier vorfindet, einen anderen Käfig. Shaima (Nagham Abu Baker), die älteste der drei Schwestern, Nour (Andria Tayeh) und Fatima (Celina Sarhan) leben in einem Luxusgefängnis, die Mädchen haben Handyverbot und dürfen das Anwesen nur in männlicher Begleitung verlassen. Auf Kampfsport haben die drei Mädchen auch keine Lust, stattdessen hängen sie mit ihrer Trainerin bald im geschmacklich fragwürdig eingerichteten Wohnzimmer herum und gucken jordanische Telenovelas. Der Besuch einer Shopping Mall stellt den Wochen-Höhepunkt dar.

© Grandfilm/Ulrich Seidl Filmproduktion
Dem Culture Clash in „Sonne“, damals noch aus der Sicht einer jungen Wienerin mit irakischen Wurzeln (das Alter Ego der Regisseurin), widerfährt in „Mond“ ein radikaler Perspektivwechsel. Sarah ist einigermaßen ratlos angesichts ihres neuen Jobs. Holzingers physische Sehnigkeit verliert angesichts von Schmink-Sessions mit der jüngsten Schwester Fatima und Style-Beratung im Klamottenladen all ihre Grundspannung.
Aber die Präsenz männlichen Aufseher sowie des übertrieben jovialen Bruders Abdul (Omar AlMajali) erzeugt eine unterschwellige Bedrohung; Hilferufe im Haus verstärken dieses diffuse Gefühl noch. Und in der Bar von Sarahs Hotel spekulieren die Angestellten über die kriminellen Machenschaften ihrer Gastfamilie. Ayub spielt mit solchen kulturellen Projektionen, die in westlichen Medien weit verbreitet sind.
Das Actiondrama., das in Holzingers alerter Körpersprache geradezu sprungbereit lauert, lässt in „Mond“ aber noch ein Weilchen auf sich warten. Und es bricht dann so offensichtlich über die Figuren herein, dass man damit schon nicht mehr gerechnet hat. Sarah darf am Ende noch zur (guten) Tat schreiten, aber Ayub bedient sich Genre-Konventionen ebenso hintergründig wie zuvor schon kultureller Ressentiments. Am Ende stellt sich die Frage, wer hier eigentlich vor wem gerettet werden muss.
Anders als in „Weiße Witwe“ verzichtet Ayub in „Mond“ aber auf groteske Überzeichnungen. Ihre schnörkellose Inszenierung hinterlässt ein Restunbehagen, das noch mal etwas komplexer ist als das selbst vergewissernde „schlechte Gewissen“ des europäischen Arthouse-Kinos. Auf bequeme Antworten muss man bei Kurdwin Ayub nicht hoffen. Und auf ein Happy-end schon gar nicht.