Es war 1998, als die Chance vertan wurde, die Berliner Verwaltung fit für das nächste Jahrhundert zu machen. Acht Jahrzehnte zuvor war aus mehreren Dutzend Gemeinden die Stadt „Groß-Berlin“ entstanden. Nach der Preußischen Städteordnung war die Unterteilung größerer Städte in Bezirke vorgesehen und so wurden aus mehr als 450 Bezirken in den Ausgangsgemeinden 20 Bezirke mit einer besonderen Selbstverwaltung als Untergliederung Berlins gebildet. Diese Struktur überlebte nach 1949 im Westteil bundesfinanziert und entsprechend bräsig. 1990 wurde sie durch Einbeziehung des Ostteils einfach vervollständigt.
Die nachzuholende Modernisierung mindestens auf den Stand anderer Großstädte oder des Stadtstaats Hamburg unterblieb und 1998 beendete man die unhaltbar gewordenen Zustände lediglich dadurch, dass man die Bezirke zu zwölf teils völlig unhistorischen Verwaltungsstrukturen zusammenlegte. Die auf Bezirksebene „regierenden“ Parteien ließen sich für dieses „Zugeständnis“ jeweils die Personalausstattung und die Unabhängigkeit eines kleinen Stadtstaats einräumen.

Klaus-Martin Groth Klaus-Martin Groth war Staatssekretär in Berlin und hat am Berliner Verwaltungs- und Verfassungsgericht gearbeitet. Heute ist er als Rechtsanwalt tätig.
Berlin ging also mit einer Verwaltung ins 21. Jahrhundert, die alle negativen Eigenschaften der deutschen Bürokratie des 20. Jahrhunderts in sich vereinte. Die fast 5000 Einzelaufgaben, die eine moderne Landes- und Kommunalverwaltung zu erledigen hat, sind bis heute in vier unterschiedlichen Begriffskatalogen und einem Dutzend Gesetzen unvollständig, unklar und teils sogar widersprüchlich formuliert. Bei circa 400 der Aufgaben fühlte sich jahrzehntelang niemand und bei ähnlich vielen fühlten sich gleich mehrere verantwortlich. Das ist der Hintergrund des seit Jahren bekannten Berliner „Behördenpingpongs“.
Klare Verantwortlichkeiten vor 2030
Damit wird nun ab Ende dieses Jahres Schluss sein. Noch vor Ostern bringt der Senat ein „Landesorganisationsgesetz“ ins Abgeordnetenhaus ein und es scheint so, dass die dafür erforderliche verfassungsändernde Mehrheit zustande kommt. Auf dieser Grundlage wird es noch vor 2030 klare Verantwortlichkeiten und eine erstmalig funktionierende stadtweite strategische Planung und Steuerung aller für die Bürger und die Wirtschaft bedeutenden Politikfelder geben.
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Vorgesehen ist auch eine regelmäßige „Aufgabenkritik“, sodass die demografisch unvermeidlich schwindende Mitarbeiterzahl und die knapper werdenden Ressourcen rational und effektiv eingesetzt werden können. Ein „Spar-Chaos“ wie in den letzten Monaten könnte dann mit vorausschauendem Mut von der nächsten Landesregierung vermieden werden.
Das sind die „Basics“. Eine Vision wird daraus, wenn drei weitere Anstrengungen hinzukommen: eine entbürokratisierende Digitalisierung, eine effektive und gleichzeitig bürgernahe Bezirksverfassung und Transparenz der Finanzen.
Entbürokratisierende Digitalisierung
Wer glaubt, Digitalisierung als solche führe zu einer modernen Verwaltung, der irrt. Der Computer beherrscht nur eine Arbeitsweise, nämlich den früher als Streiktaktik des Beamtentums angewandten „Dienst nach Vorschrift“. Jeder, der an seinem Rechner die letztjährigen „Grundsteuerwert-Berechnungsformulare“ ausgefüllt hat, weiß, was das bedeutet.
Erst wenn jede einzelne Verwaltungsleistung in eine neue, einerseits digital umfassend eingebettete und andererseits hochflexible Regulierungsstruktur überführt wurde, kann digitale Effektivität und Bürgernähe entstehen. Da ist der – heute eher gern übergriffige als effektive – Gesetzgeber ebenso gefordert wie jede Fachverwaltung und die gesamt IT- und KI-Technik. Aber bis 2030 könnte man das schaffen.
Serie „Berlin 2030“
In unserer neuen Serie „Berlin 2030“ wollen wir konstruktive Lösungen für die Herausforderungen der Hauptstadt finden und dabei helfen, positiv in die Zukunft zu schauen. Dafür sprechen wir mit Vordenkerinnen und Visionären, mit Wirtschaftsvertretern, mit Kulturschaffenden, mit Stadtplanern, mit Wissenschaftlerinnen und Politikern.
In Gastbeiträgen fragen wir sie nach ihrer Vision für Berlin. Wie soll Berlin im Jahr 2030 aussehen? Welche Ideen haben sie für die Zukunft unserer Stadt? Und welche Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden?
Die Beiträge der Serie stammen unter anderem von Kai Wegner, Renate Künast, Sigrid Nikutta, Ulrike Demmer, Tim Raue, Mo Asumang und Christian Schertz. Alle bisher erschienen Beiträge finden Sie hier.
Am 28. April ab 19.30 Uhr stellen wir die Vorschläge aus der Serie in einer Veranstaltung mit Podiumsdiskussion im Deutschen Theater vor. Tickets gibt es unter veranstaltungen.tagesspiegel.de.
Sie haben auch eine Idee? Schicken Sie uns Ihre Vorschläge an: checkpoint@tagesspiegel.de
Effektive und bürgernahe Bezirksverfassung
Seit 1998 halten sich die ins Amt gewählten Berliner Bezirkspolitiker für effektiv und bürgernah, denn sie sind die „Regierung“ und die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) das „Parlament“. In der Verfassung sind beide allerdings dem Kapitel „Verwaltung“ zugeordnet. Dort wird wenig effektiv und auch wenig demokratisch festgelegt, dass die Leitungspositionen ohne Qualitätsanforderungen nach politischem Proporz zu besetzen sind. Sie sind bei der Erledigung ihrer Aufgaben an keine Weisungen gebunden und einer parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen.
Wir haben gegenwärtig also ein undemokratisches, aber „überpolitisiertes“ Bezirksamt, dessen einzelne Mitglieder nur auf Vorschlag einer Parteifraktion ins Amt kommen können. Neun der 55 Verordneten reichen für diese „Veto-Position“ aus. Mit bürgernaher Demokratie hat diese Form der Machtausübung wenig zu tun. Eine Wiederwahl können die Stadträte nur erwarten, wenn sie fünf Jahre lang den Wünschen ihrer Partei entsprochen haben. Erreicht diese nicht wieder mindestens neun Sitze, muss auch die beste Leitungsperson abtreten. Das gibt es in keiner anderen Großstadt Deutschlands und muss sich bis 2030 ändern.
Eine neue Bezirksverfassung sorgt dann dafür, dass die 72 bezirklichen Leitungspersonen mit jeweils fast einem halben Bundeskanzlergehalt die jeweils Besten ihres Fachs sind und an der Effektivität der Leistungen ihrer Ämter gemessen werden. Die Bezirksbürgermeisterin hat ein umfassendes Koordinationsrecht und die Parteischarmützel in der BVV über „Ersuchen“ und „Empfehlungen“ werden ersetzt durch Beratungen darüber, wie die Verwaltung es vor Ort im Rahmen einer vom Senat festgelegten Berliner Gesamtstrategie für alle Menschen – und nicht nur die jeweils eigenen Wähler – richtig und möglichst noch besser macht. Aus einer kritisch-überzogenen Verhinderungs- wird eine realistische Ermöglichungskultur.
Transparenz der Finanzen
Über Ziele für ein Politikfeld und Wege dahin kann allerdings sinnvoll nur entschieden werden, wenn Transparenz hinsichtlich der verfügbaren Finanzmittel besteht. Wo sind im Verhältnis Senat/Bezirke die Mittel am effektivsten einsetzbar und wie können die Leistungen durch verbesserten Einsatz der gleichen Mittel optimiert werden? Der zukünftige Landeshaushalt wird also Politikfeldbudgets vorsehen, die alle Verwaltungsebenen übergreifen.
Aufgabe aller Verwaltungseinheiten ist in diesem Rahmen die Optimierung ihrer jeweiligen Leistungen auf der Grundlage messbarer Kriterien für das Wohlergehen der Bürger, der Wirtschaft und der Umwelt. Wer die Verwaltung so führt, hat dann die Chance, auch 2031 wiedergewählt zu werden.